Das bretonische Lied
J. M. G. Le Clézio
09.05.2022
"Anemoia" oder "Das Gefühl der Nostalgie für etwas selbst nie Erlebtes" – dieses Kunstwort beschreibt ganz treffend die Empfindungen, welche den Leser bei der Lektüre von Le Clézios Das bretonische Lied, der ersten, titelgebenden Erzählung innerhalb dieses Bandes, ereilen.
Darin schildert er die Erinnerungen seiner Kinder- und Jugendzeit in der Bretagne und lädt den Leser zu einer zauberhaften, melancholischen Entrückung ein. Es warten Eindrücke flirrender Sommerhitze, großer Feste und der Bretonen mitsamt ihrer Sprache, die vom Vergessen bedroht wird. Man kann sich kaum einer gewissen Sehnsucht nach dieser Zeit, nach diesen Orten erwehren, die Le Clézio in lyrischen Sätzen zum Leben erweckt.
Die folgende und abschließende Erzählung Das Kind und der Krieg hat naturgemäß schwermütig-ernstere Untertöne, denn sie erzählt von den Erfahrungen des Kindes während der letzten Jahre des zweiten Weltkrieges. Auch dieser Text ist auf besondere Weise berührend, zeigt er doch aus Kindersicht die Wirren des Krieges. Im Kontext der gegenwärtigen Zustände in der Ukraine hat er noch an Eindringlichkeit gewonnen.
Der Band in seiner Gänze zeigt den französischen Nobelpreisträger Le Clézio mit seinem tiefen Gespür für das Wesen der Dinge und der Menschen, ist vor allem aber auch ein Ausdruck der Kraft von Erinnerung.
ISBN_978-3-462-00170-9
Verlag_Kiepenheuer & Witsch