
Lesser Ruins
Mark Haber
03.03.2025
Getrieben von der Sehnsucht nach etwas Besonderem watet der hungrige Leser in den Sümpfen aus Enttäuschung und Ernüchterung, bis es dann doch passiert: ein Text wie ein Stromschlag; ein Peitschenhieb zuckt in den synaptischen Schlummer.
Ein Philosophie-Professor im Ruhestand sitzt an seinem zu teuren Rolltop-Schreibtisch und sinniert über sein Leben. Über seine Frau, die er an eine teuflische, bewusstseinsvernichtende Krankheit verloren hat. Seinen Sohn, den er über alles liebt, dessen endlose Tiraden über die Vorzüge und Facetten elektronischer Musik ihn jedoch Stück für Stück in den Wahnsinn treiben. Vor allem auch über die eigenen Unzulänglichkeiten: die Kaffee-Obsession, die ihn seine Karriere kostete, und besonders den ewigen, unvollendeten Traum vom eigenen Buch über den so tief verehrten Michel de Montaigne. Denn dieses "buchlange Essay über Montaigne" ist nie über einen Titel oder genauer gesagt, nie über die unzähligen Titelideen hinausgekommen, die den Professor regelmäßig epiphanisch erschüttern.
Das alles verschmilzt in Lesser Ruins zu einem Strom aus Gedanken, der so elegant und profund ist, dass es schmerzt; der auch das Unrühmlichste zeigt, ohne der Figur die Würde zu nehmen. Staunend folgt man diesem makel- und mühelosen Fließen von Sprache, in dem kein Wort dem Zufall überlassen wurde.
Selten wurde die seltsame – und verstörende – Nähe von Banalem und Existenziellem so leichtfüßig erzählt, ihr ein wenig der Schrecken genommen. Selten die menschliche Schwäche derart geschickt gegen die großen Errungenschaften der Geistesgeschichte gestellt. Denn dieses Ringen von Versagen und Triumph, von tierischem Stumpfsinn und gottesähnlicher Genialität findet man letztlich nur bei unserer wunderlichen Spezies.
Lesser Ruins ist noch nicht in deutscher Übersetzung erhältlich!
ISBN_978-1-56689-719-8
Verlag_Coffee House Press