Spitzweg
Eckhart Nickel
09.10.2023
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2022
Wann immer Carl anfing, über Kunst zu reden, hatte ich den Eindruck, dass jedes gelungene Gemälde im Grunde das hehrste Ziel der Menschheit verkörperte: eine überzeugende Lösung dafür zu finden, was wir unter Wahrheit zu verstehen haben. Und dass es nur ein Bild ist, das uns in dieser Hinsicht helfen kann.
Spitzweg ist ein hochvergnüglicher Roman, ein überschäumendes Fest der Sprache und in vielerlei Hinsicht eine Ode an die Kunst. Fraglos ist es aber auch ein Text, der sich so gekonnt wie konsequent unter der Erwartungshaltung der Leser hindurchduckt, insbesondere dann, wenn offensichtlich wird, dass das Vorantreiben eines klassischen Plots einen verhältnismässig nachgeordneten Stellenwert hat.
Es genügt also vermutlich, eine kleine Annäherung an das vorzunehmen, was den Leser erwartet: drei Abiturient:innen, darunter Kirsten, die von ihrer Kunstlehrerin bloßgestellt wird, was den Ich-Erzähler und den Mitschüler Carl auf den Plan ruft – Letzterer hält Vergeltung für zwingend erforderlich. Es ist auch gerade dieser Carl, der die wohl eigentümlichste Figur des Romans ist, ein junger Mann, der schier endlos (unterhaltsam!) über Kunst in all ihren Manifestationen parlieren kann und ein lexikalisches Wissen in seinem Kopf zu beherbergen scheint, das in direktem Widerspruch zu seinem Lebensalter steht.
Doch man lernt bei Nickel schnell, sich nicht an solchen vermeintlichen Kanten zu verhaken, denn es macht auch gerade die Magie des Romans aus, dass nicht jedes Wort abgeklopft werden muss, um die Glaubwürdigkeit des Erzählten zu ergründen, nicht alles muss bis auf den Grund hinab interpretiert werden. Kunst muss keine genaue Abbildung der Realität sein, solange sie "eine Vision der Wahrheit in ästhetischer Form verdichten" kann.
Das große Thema des Romans ist nun wohl offensichtlich. Nickels Buch öffnet sich als schier unerschöpfliche Interpretationsfläche für Überlegungen zur Kunst in all ihren Facetten und auch deren metaphysischer Bedeutung. Für entsprechend affine Leser ist Spitzweg ein großer, eigensinniger Spaß, voller Sprachwitz und Scharfsinn, überschäumend vor Begeisterung für das kreative Schaffen.
ISBN_9783492071437
Verlag_Piper